Ein*e Aktivist*in wurde während der Besetzung von Robin Dullinge interviewt. Das Interview wurde auf der Seite sechel.it veröffentlicht. Nun auch hier der Text – viel Spaß beim Lesen!
In Münster kam es im Oktober 2015 zu einer Besetzung des ehemaligen Hauptzollamts, dass drei Jahre lang leer stand. Viele Menschen kamen dort zusammen um diverse Veranstaltungen auf die Beine zu stellen. Ende Oktober wurde das als soziales Zentrum besetzte Gebäude geräumt. Den gewünschten Erfolg hat es bislang nicht gegeben. Bis heute existiert kein alternativer Raum in Münster. Deshalb haben Aktivist_innen erneut ein Gebäude besetzt, um ihrer Forderung Nachdruck zu verleihen. Wir haben während der Besetzung mit einem der Besetzer_innen gesprochen.
Das Interview führte Robin Dullinge.
Dullinge: Aktuell habt ihr das ehemalige Post-Gebäude besetzt. Dies bezüglich gab es ein Bürgerbegehren gegen das kommende Einkaufszentrum, welches von der Stadt jedoch nicht aufgegriffen wurde. Wie ist der aktuelle Stand um das Gebäude? Warum habt ihr euch für das Post-Gebäude entschieden?
Aaron*: Die Pläne der Institution Stadt, das komplette Hafenviertel, ursprünglich Industrie- und Arbeiter_innenwohnraum, umzustrukturieren, bestehen nicht nur schon länger, sondern wurden zu großen Teilen, besonders entlang des Hafenbeckens, bereits umgesetzt. Der Bebauungsplan des Geländes der ehemaligen Post – als weiteres Puzzleteil einer Gentrifikation des Hafenviertels – wurde durch die Stadtratssitzung vom 16.12. nun zementiert und sieht die Errichtung eines riesigen Einkaufszentrums vor. Mehrere tausend Unterschriften sowie über fünfhundert Eingaben durch Bürger_innen konnten sich bislang nicht gegen die Interessen der Profiteur_innen, allen voran die Immobilien- und Handelsfirma Stroetmann als Grundbesitzerin, durchsetzen. Derzeit werden durch eine Initiative von bürgerlicher Seite die Vorbereitung einer Klage gegen den Bebauungsplan unternommen. Wir Besetzer_innen jedoch sehen im juristischen Weg keine gangbare Möglichkeit, den Anliegen der Menschen gegenüber kapitalistischen Interessen gerecht zu werden. Einfach gesprochen hat das geplante E-Center weder einen Rückhalt in der Anwohner_innenschaft, noch trägt es in einer Form dazu bei dringend benötigte Räume für Wohnungen, alternative Kultur, Nachbar_innenschaft oder solidarische und soziale Projekte zu schaffen.
Dullinge: Dem Aufruf zur Besetzung des ehemaligen Hauptzollamts konnten wir entnehmen, dass soziale Räume in Münster seit einigen Jahren nicht mehr existieren, außerdem gibt es kaum bezahlbaren Wohnraum. Wie steht es um den Stadtrat und die verantwortlichen Personen in Münster in den letzten Jahren? Gab es Gespräche mit ihnen?
Aaron*: Uns gegenüber zeigen sich die Verantwortlichen nicht gesprächsbereit. Hier und da hört man von Seiten der E-Center befürwortenden Parteien CDU, FDP, SPD heuchlerisch anmutende Verweise auf bestehenden Wohnungsbau und Zugang zu Kultur und sozialen Räumen. Dass dies Augenwischerei ist zeigt ein Blick auf die Art des Wohnraums, der erzeugt wird: Im Bereich des Hafenbeckens sind es beispielsweise teure Lofts und Apartements und auch andernorts wird eher auf gewinnträchtige Wohnungen im mittleren bis oberen Preissegment gesetzt. „Soziale“ Räume in städtischer oder kirchlicher Trägerschaft auf der anderen Seite sind meist weder hierarchiefrei, noch bieten sie Möglichkeit zur Mitgestaltung – ganz zu Schweigen von den strukturell innewohnenden Diskriminierungsformen. Über offene Briefe und Pressemitteilungen tragen wir unsere Forderungen an die Öffentlichkeit und an die Institutionen. Diese Kommunikation ist insofern einseitig, als dass es bisher keine Versuche von Seiten der Politik gab mit den Besetzer_innen in Dialog zu treten.
Dullinge: Im Zusammenhang mit Hausbesetzungen wird in der Regel vom „Recht auf Stadt“ gesprochen. Wie definierst du dieses „Recht“?
Aaron*: Auch auf die Gefahr hin, den Begriff „sozial“ inflationär zu gebrauchen, ist es im Hinblick auf menschenwürdige Stadtgestaltung notwendig den sozialen Aspekt anderen Aspekten voran zu stellen. Die Ökonomisierung der Stadtpolitik im Sinne von Profitinteressen generiert pausenlos Ausschlüsse. Dazu muss man nicht das Extrembeispiel „gated communities“ in Münster wie z.B. den Klostergarten anführen; Mieten an sich führen schon dazu, dass manche Orte nur von Menschen mit bestimmten Voraussetzungen bewohnt werden können, sei es im einen Fall vielleicht ökonomisches Kapital, im anderen ein Deutscher Pass oder auch nur die Bereitschaft zur Lohnarbeit. All das sind systemimmanente Zwänge gegen die wir uns wehren wollen, indem wir ein leerstehendes Gebäude wie die Post aktiv bewohnen und mitgestalten, ohne den Raum anderen wegzunehmen, sondern ihn dadurch überhaupt Menschen zugänglich zu machen. Der alte Slogan „Die Häuser denen, die drin wohnen“ lässt sich unter dieser Folie einfach in „Die Stadt gehört allen“ ummünzen.
Dullinge: Was passiert um das Gebäude herum? Ist der Stadtteil bereits aufgewertet? Wie stehen die Chancen, dass die Besetzung den gewünschten Erfolg erzielt? Wie hat die Nachbar_innenschaft darauf reagiert?
Aaron*: Das Hafenviertel ist Teil des Hansaviertels, welches gefühlt die am stärksten steigenden Mieten hat. Alte Strukturen wie ein Bio-Wochenmarkt in den alten Osmohallen sind bereits verdrängt worden, das Hafenbecken ist einseitig von kommerziellen Bars und Restaurants gesäumt, die Konsumzwang zur Nutzungsbedingung haben. Darüber hinaus wurden neue kubische Bürogebäude in Glasfassade errichtet. Die Stadt wirbt mit „Wohnen und Arbeiten am Wasser“. Nun soll auf knapp 5000qm Verkaufsfläche folgen. Ja, hier ist die Gentrifikation in vollem Gange.
Da es schon vor der Besetzung deutliches Engagement gegen den Bau des E-Centers gab, hat unsere Besetzung nun vielleicht nur eine neue Ebene des Widerstandes erreicht. Viele Anwohner_innen haben sich mit uns solidarisiert, wir haben vielleicht sogar überregional Aufmerksamkeit für dieses Thema geweckt. Auf Grund eines direkt auf die Erstbegehung des Gebäudes folgenden Kultur- und Informationsprogramms, welches wir auf die Beine stellten, und des stetigen Austauschs zur Nachbar_innenschaft, waren zeitweise hunderte Menschen in den Räumen der ehemaligen Post simultan anwesend und meines Wissens haben diese sich ausnahmslos positiv zur Besetzung geäußert, insbesondere weil bisherige Bürgerbegehren vom Stadtrat ignoriert wurden. Die Zustimmung zu der Form Demokratie, wie sie Bürgermeister und Stadtratsfraktionen in Münster repräsentieren, scheint spürbar zu sinken. Uns hat es selbst erstaunt, wie viele Menschen die Besetzung als politische Aktionsform billigen oder gar befürworten. Das alles werten wir als Teilerfolge.
Dullinge: Was passiert wenn die Besetzung vorbei ist?
Aaron*: Bereits während der brutalen polizeilichen Räumung am Montag gab es Proteste und Solidaritätsbekundungen unmittelbar vor dem Gelände der alten Post. Von den schätzungsweise 150 – 200 Protestierenden gab es einige durch brachiale Polizeigewalt Verletzte, als Polizist_innen zum Abtransport der in Gewahrsam Genommenen eine Sitzblockade durchbrachen. Sicherlich hat damit das staatliche Exekutivorgan Polizei nur zusätzlich Antipathien bei denjenigen Anwesenden geerntet, welche mit bisher geringem links politischen Hintergrund als protestierende Anwohner_innen anwesend waren oder auch solchen, die durch Videodokumentation der Ereignisse auf das unverhältnismäßige Vorgehen aufmerksam wurden. Im Anschluss an die Räumung fand eine Spontandemonstration zur Gefangenensammelstelle beim Polizeipräsidium statt, auf deren Sprechchöre ich verweisen möchte: Ihr reißt die Barrikaden nieder – Wir kommen und besetzen wieder!
*Name von der Redaktion geändert