„Ich frage mal vorsichtig…“ Prozessbericht zum 1. Prozesstag am 20.12.

„Lang, lang ists her“, wiederholte der Richter immer wieder, wenn er die Zeug_innen des ersten Prozesstermins an die Geschehnisse am 09.04.2016 erinnerte – nach einer Demo namens „Step Up to the Streets“ brannten schicke Autos in Münsters Hafenviertel. Die Polizei scheint dort einen ganz eindeutigen Zusammenhang zu sehen und nahm an besagtem Tage 3 Personen fest.

Aber Moment, wenn alles so klar ist, was hat dann solange gedauert diesen Prozess einzuleiten, fragst du dich jetzt bestimmt. Die Antwort wurde am Mittwoch im Amtsgericht schnell allen Beteiligten (bis auf dem Staatsanwalt) klar. Ein Haufen verzweifelter Versuche, Beweise zu finden, lief schon bei den Ermittlungen ins Leere. So begann der Richter den Prozess damit, festzustellen, was alles keine Beweise sind. Verworfen wurden unter Nicken von Staatsanwalt und Anwält_innen u.a. eine DNA-Untersuchung der Polizei ohne Treffer, ergebnislose Untersuchungen der Polizei zu angeblichen „verdächtigen Spuren“ an den Händen der Angeklagten, sowie die Untersuchung von Mobiltelefonen und anderen Datenträgern (etwa Laptops) ohne Ergebnis.

Der Wortlaut in der Akte etwa: Zurzeit besitzen wir keine geeignete Entschlüsselungssoftware für die angewandte Linux-Verschlüsselung.

Es blieben also als einziger „Beweis“: Zeug_innen. Zum Tag waren 8 Zeug_innen geladen – 2 davon erschienen jedoch nicht. Der Richter lud zuerst die Zeug_innen, die dem Tatort am nächsten waren. Erst kamen 3 Passant_innen und sprachen von vermummten Menschen, die am Tag des Geschehens durch den Hafenweg rannten und dabei nicht erkennbar waren. Sie sahen auch brennende Autos, konnten aber nicht sehen, wer sie in Brand setzte. Danach kam ein Polizeizeuge, der zwar am Rande der Demo auf einem „Beobachtungsposten“ positioniert war, paradoxerweise von dort aber nicht wirklich etwas Entscheidendes beobachtet hatte. Auch er sprach von vermummten Personen, die er dann aus den Augen verlor.

Die letzten beiden Zeugen äußerten sich nicht und machten Gebrauch von ihrem Aussageverweigerungsrecht.

Bis auf die Feststellung der Personalien wurde weitestgehend berücksichtig, dass sich die Angeklagten nicht im binären Geschlechtersystem verorten und sie wurden mit wechselnden Pronomen angesprochen. Bloß bei der Vernehmung der Zeug_innen wurde es immer mal wieder absurd, wenn sowohl Richter als auch Staatsanwaltschaft von den Zeug_innen wissen wollten, ob die vermeintlichen Täter_innen denn nun „Männer oder Frauen“ gewesen seien oder der Copzeuge behauptete, er habe ganz eindeutig Frauen identifizieren können, da manche von den vermummten Personen kleiner gewesen und „wie Frauen gelaufen“ seien… Bei so einem vorurteilsvollen Quatsch konnte sich das Publikum und selbst die Verteidigung das Lachen nicht verkneifen.

Der Richter fasste am Schluss den Prozesstag mit einer kleinen Ansprache gut zusammen. Es sei ja kein Geheimnis, dass er das ziemlich aussichtslos erscheinende Verfahren gar nicht erst eröffnen wollte. „Ich frage mal vorsichtig“, sagte er und wollte vom Staatsanwalt wissen ob es überhaupt nötig wäre, noch mehr derartige Zeug_innenaussagen zu hören und die Entscheidung nicht schon direkt getroffen werden könne. Der Staatsanwalt hat offensichtlich ne Menge Druck im Nacken: Er verlangte die Fortsetzung der Verhandlung und und bewies damit einmal mehr die Peinlich- und Parteilichkeit der Staatsanwaltschaft Münster.

Somit haben die Angeklagten einen weiteren Prozesstermin vor sich, nämlich am:

Mittwoch, 10.01.2018 ab 9.00

….und freuen sich weiterhin über solidarische und nette Leute im Publikum. Ganz wundervoll, dass am 20.12. so viele Unterstützer_innen gekommen waren!

Zwei andere Fortsetzungstermine sind auch theoretisch noch offen, wenn es nicht schon am nächsten Prozesstermin zu einer Entscheidung kommt:

Mittwoch, 17.01.2018 ab 9.00 (Fortsetzungstermin)
Mittwoch, 24.01.2018 ab 9.00 (Fortsetzungstermin)