Am 08.02.2015 veranstaltete die Polizei, darunter die berüchtigte 17. BPH1 aus Münster, mit mehreren hundert Cops ihren ganz persönlichen Karnevalsumzug an der besetzten alten Post in Münster. Die Polizei sperrte das Gebiet mit circa einem halben Kilometer weiträumig ab; hatte praktisch ein ganzes Viertel besetzt und in den Ausnahmezustand versetzt. Im folgenden Text werden wir zuerst die Vorgänge des gestrigen Tages chronologisch abarbeiten, uns später einer Einordnung und dann den Perspektiven für die kommenden Tage widmen. Ja, wir wissen der Text ist super lang, es lohnt sich trotzdem ihn zu lesen.
…was bisher geschah
Die traditionell am Rosenmontag stattfindende Dubparty vom Roots Plague Soundsystem wurde spontan in das seit Samstag besetzte Gebäude verlegt, in dem gerade begonnen wurde das soziale Zentrum aufzubauen. Als erstes kam ein Zivilpolizist ins Gebäude und erkundigte sich, als Besucher getarnt, über die Räumlichkeiten. Dann fuhr ein Zivilwagen auf den Parkplatz und räumte eine dreieckige Bauzaunbarrikade weg, die den Zufahrtsweg zum Innenhof des besetzten Gebäudes versperrte. Daraufhin fuhr ein angemieteter, ziviler Sportvan ohne Vorwarnung in das geöffnete Tor des Squats2. Zwei gepanzerte Polizisten mit Schildern sprangen heraus und rannten alles um was ihnen im Wege stand. Kurz danach stürmte ein Trupp gepanzerter und äußerst aggressiver Cops das Gebäude. Einige Leute flüchteten vor dem Schlägertrupp und zogen eine Glastür hinter sich zu. Die Cops schlugen sofort ohne Vorwarnung mit einem Vorschlaghammer durch die Tür, hinter der Leute standen. Nur um Haaresbreite verfehlte der Hammer die Flüchtenden.
Die Polizei nahm im Gebäude circa dreißig Personen fest und machte sie bereit für den Abtransport zum Polizeirevier. Mitlerweile hatten sich um die hundert Unterstützer_innen vor dem Gelände versammelt, welches die Polizei nun mit mehreren Personenketten und sage und schreibe 25 Wannen3 und mehreren zivilen PKWs abriegelte. Unterstützer_innen bauten symbolische Barrikaden aus Mülltonen und Einkaufswägen vor der Polizeikette und auf der angrenzenden Kreuzung und setzten sich teilweise auf den Boden. Die Stimmung war friedlich, es lief Musik, Leute hielten Schilder hoch und tanzten. Auch einige Anwohner_innen unterstützen die Blockade. Die Polizei machte drei Räumungsdurchsagen und wies die Menschen an sich auf den Bürgersteig zu begeben.
Ein Eindruck wie die Polizei schon vor der Rämung vorging: hier
1BPH – Bundespolizei Hundertschaft (berüchtigt weil sie am 03.03.2012 bei Protesten gegen einen Naziaufmarsch einen Demonstranten ins Koma prügelte
2Squat – Besetzung
Plötzlich wurden die Demonstrant_innen von einer gesamten behelmten Hundertschaft überrannt. Leute wurden an den Beinen, Köpfen oder Haaren über den Asphalt geschliffen. Die Cops schlugen Leuten ins Gesicht und traten sie. Sogar Menschen die schon am Boden lagen und keinen Widerstand leisteten kriegten noch den ein oder anderen Fußtritt in die Magengrube ab. Die Mülltonnen wurden auf sitzende Demonstrant_innen geworfen. Schlagstöcke wurden eingesetzt und gezielt auf Gelenke geschlagen. Leuten, die ohnehin gehen wollten wurde hinterhergelaufen und diese wurden immer wieder geschubst. Dabei beleidigten die Cops permanent die Unterstützer_innen. Menschen die sich schon vorher, wie befohlen, auf den Gehweg zurückgezogen hatten wurden im übrigen einfach mit verprügelt. Danach sicherten die Einsatzkräfte den Abfahrtsweg des Gefangenenbusses und schlugen und schubsten dabei weiterhin wild um sich. Erst dann kam es zu aktiven Widerstandshandlungen.
Zivilpolizist_innen schlugen in der Zwischenzeit einen jungen Mann in einer Seitenstraße, ohne verifizierten Anfangsverdacht, zu Boden und malträtierten ihn ohne dass er sich wehrte. Einige gepanzerte Einheiten kamen hinzu und hatten nichts besseres zu tun als der gefesselten, am Boden liegenden, wehrlosen Person den Kopf, Arme und Rücken zu verdrehen. Anschließend wurde er äußerst brutal abgeführt. Währenddessen wurden Unterstützer_innen und Anwohner_innen immer wieder durch Beleidigungen, Schläge und Schubsereien gedemütigt.
Ein Anwohner filmte die Rämung von einem Balkon: hier
Lasst uns weiterziehen
Spontan formierte sich eine Demonstration aus etwa 150 Menschen, die zum Polizeipräsidium am Friesenring ziehen wollte, um die Gefangenen abzuholen. Die sichtlich überforderte Polizei rückte mit starken Einsatzkräften nach, bildete schnell ein Spalier um die Demo, hielt sie mit Drohungen und körperlichen Einsatz auf und kesselte die Demonstrant_innen ein. Auch hier ist wieder zu bemerken, dass der Einsatz der Gewalt, die dafür genutzt wurde mindestens genauso übertrieben war, wie die zahlenmäßige Verhältnismäßigkeit zur real bestehenden Gefahr durch die Demo. Nach einer halben Stunde entschlossen sich die Menschen den Demonstrationszug anzumelden. Dies wurde nach Polizeidoktrin völlig korrekt ausgeführt; jedoch schien das noch nicht zu allen Einsatzkräften durchgedrungen zu sein. Als Leute sich zur angemeldeten Demo in Bewegung setzten fing die Polizei wieder an die Situation zu eskalieren und schubste Menschen wild umher. Daraufhin zerstreuten sich einige auf der gesamten Straße was die Cops vollends zu überfordern schien, weil die Demonstrant_innen plötzlich nicht mehr gebündelt vor ihrer Absperrung sondern überall um sie rumstanden. Dies war zweifelsohne ziemlich clever.
Kurz darauf konnte die Sponti4 loslaufen, begleitet von circa 20 Wannen und Cops die Spalier um die Demo gelaufen sind.
4Sponti – Spontane Demonstration
In Bewegung bleiben – die Initiative behalten
Die Polizist_innen versuchten die Demonstrierenden einzuschränken wo es nur möglich war. Sie versuchten immer wieder ein Spalier um die Demo zu ziehen, was ihnen auch des öfter en gelang. Im Gegensatz dazu verteilten sich Demonstrant_innen dmehrere Male auf der gesamten Straße, was die Kontrolle durch das Spalier erschwerte und ein Nachrücken von Polizeiwagen nach vorne verunmöglichte. An der Eisenbahnstraße gelang es dann von der geplanten Route abzuweichen und sich auf zwei durch Zäune voneinander getrennte Straßenseiten zu bewegen. Das sorgte dafür, dass die Cops kurzzeitig nicht mehr agierten sondern höchsten reagierten und ihre Mühe hatten den Demozug wieder vollständig zu umschließen. Später schoben sie den Demonstrationszug teilweise bis auf den Bürgersteig zusammen, einige Straßen weiter nutzte dieser aber eine Unachtsamkeit der Polizei um sich wieder auf die volle Breite der Straße auszuweiten.
Afterhour an der GeSa5
Am Präsidium und der improvisierten Gefangenensammelstelle angekommen verhinderten die Cops, dass wir zu den Festgenommen die schon in Hör- und Sichtweite warteten dazustoßen konnten. Als sie uns endlich durchließen, nahmen alle ihre Freund_innen sichtlich erleichtert in Empfang; es wurden Schokolade und Brötchen verteilt. Noch aber waren nicht alle Leute freigelassen worden. Spontan entstand mit Hilfe der Lautsprecheranlage eine kleine Dubparty vor dem Präsidium, welches von unglaublich vielen Polizist_innen komplett umstellt und beschützt wurde.
Als die letzten Festgenommenen draußen waren wurde die Versammlung aufgelöst und die Menschen zogen ordnungsgemäß nach Hause. Das reichte jedoch einigen Cops wohl noch nicht. So wurde Zivilpolizei, auf die Leute die weggingen angesetzt, welche einzelne Personen und Gruppen verfolgte.
5GeSa – Gefangenensammelstelle
Die Bestandsaufnahme
Nach unseren Erkenntnissen wurden 38 Personen vorläufig festgenommen und teilweise erkennungsdienstlich behandelt. Mehrere dutzend Menschen wurden bei dem Einsatz durch Faustschläge, Tritte, Schlagstöcke, Schmerzgriffe, Stürze… verletzt. Die traumatischen Erfahrungen und psychischen Belastungen durch derartige Polizeigewalt können wir natürlich nicht in Worte fassen. Auch der massive Einsatz von zivilen Cops, die nicht nur auskundschaften sondern auch zuschlagen, erlebte heute in Münster seine traurige Premiere. Einige Menschen haben Anzeigen, vorallem wegen Hausfriedensbruch und Sachbeschädigungen, erhalten. Insbesondere der letztere Vorwurf verwundert uns sehr. Erstens weil das Haus von den Besetzer_innen renoviert wurde und zweitens weil die Besitzer auf dem Papier ohnehin planen das Gebäude in Schutt und Asche zu legen um ein vollkommen nutzloses, teures Einkaufszentrum gegen den Willen der Anwohner_innen zu errichten. Anbei möchten wir anmerken, dass Stroetmann als Eigentümer zu keinem Zeitpunkt Kontakt zu uns gesucht hat und, dass die Polizei ohne sein Mitwirken erst mal keine Räumungsgrundlage gehabt hätte.
Auch wenn der Tag furchtbar anstrengend war und viele Leute verletzt wurden hatte er doch etwas Gutes. Unser Protest hat in den meisten Fällen die Initiative behalten und hat in einigen Momenten auch die Kontrolle einer Polizei übermacht aufgebrochen. Über 150 Menschen kamen sofort zur Unterstützung. Die verschiedenen Protest- und Widerstandsformen an diesem Tag konnten hervorragend nebeneinanderher und miteinander in einer grundsolidarischen und niedrigschwelligen Atmosphäre funktionieren. Gleichzeitig haben wir das Gefühl, dass die Polizei gerade durch ihre Brutalität und dem für alle sichtbaren Durchsetzungswillen von Profitinteressen ganz unabsichtlich eine neue Phase der Münsteraner Hausbesetzungsbewegung und der neuen, widerspenstigen Protestdynamiken ins Rollen gebracht hat. Den Einsatz haben sie zwar gewonnen; auf lange Sicht hat die Polizei sich aber ins eigene Gesicht geschlagen.
Die Soziale Frage muss vorne angestellt werden.
Einer Unterstützerin wird ohne erkennbaren Grund ins Gesicht geschlagen. Ein Anwohner wird nicht zu seiner Wohnung gelassen und stattdessen von der Polizei ausgelacht und beleidigt. Ein Schlagstock trifft denjenigen, der sich den Befehlen der Polizei schon gebeugt hat. Zwei Flüchtende werden fast angefahren. Ein ganzes Viertel liegt im Ausnahmezustand.
All diese Momentaufnahmen haben eines gemeinsam. Eine heterogene Gruppe von vielen Menschen hatte einen gemeinsamen politischen Moment und eine für manche erschreckende Erkenntnis.
Wenn alle Worte gesprochen wurden, alle parlamentarischen und juristischen Mittel ausgeschöpft sind, bleibt den Menschen nichts anderes übrig als ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen. In diesen Momenten zeigt sich, dass die letzte Konsequenz in der autoritären Stadtplanung immer der Ausnahmezustand und der Polizeiknüppel ist. All die immer wieder heruntergebeten „Mitbestimmungsmöglichkeiten“ offenbaren sich als Geschwätz und Schauspiel wenn du merkst, dass du in dieser Stadt rein gar nichts zu melden hast. Ohne Kohle in einer Gesellschaft die eine Vielzahl an Ausgrenzungsmechanismen hat und in der alles in Ordnung ist solange am Sonntag noch der Tatort läuft, läuft hier gar nichts.
Doch wir sollten uns darüber nicht wundern. Die Polizei ist eben nicht dazu da unser Recht auf Selbstverwaltung zu ermöglichen, sondern um soziale Bewegungen zu kontrollieren und kaputtzumachen wenn sie zu ungemütlich werden. Der Kapitalismus ist nicht dafür da ein schönes Leben für alle zu ermöglichen. Erst recht nicht um uns ein selbstverwaltetes Haus, in dem fleißig an seiner Abschaffung getüftelt wird, in unserem Viertel zu ermöglichen. Dafür müssen wir schon selber sorgen, die Verantwortung tragen und begreifen, dass wir die Handlungsfähigkeit uns ein schönes Leben zu ermöglichen schon naturgemäß in uns selbst tragen, wenn wir uns mit anderen verbünden und auf ein gemeinsames Ziel verständigen.
Wir sollten nicht darauf bauen Kohle zu kriegen um ein Haus zu kaufen was ohnehin nahezu unmöglich ist. Sondern darauf, als Bewegung an Handlungsmöglichkeiten und Personen gewinnen um unübersehbar zu werden. Wir müssen kontinuierlicher Dorn im Auge der Stadtplanung, Investor_innen, Polizei und reaktionären Trotteln wie der Jungen Union bleiben und dürfen uns nicht von faulen Befriedigungsangeboten hinreißen lassen. Denn in Wirklichkeit haben sie alle gemeinsam, dass sie uns am liebsten Mundtot hätten. Nach diesem Tag sind die Verhältnisse klar und es ist gut, dass es viel mehr Menschen klar geworden ist. Es ist traurig, dass für diese Erkenntnis Leute verletzt wurden. In Gedanken sind wir bei allen, die sich gestern nicht unterkriegen lassen haben und für ihr Recht auf Stadt gekämpft haben und dafür ihre körperliche und psychische Unversehrtheit in Kauf genommen haben. In Kürze werden wir einen Rechtshilfetext veröffentlichen und Maßnahmen einleiten, damit alle möglichst unbeschadet aus der Sache herauskommen.
Eine kleine Zukunftsmelodie
Wir bleiben dabei: Münster braucht ein soziales Zentrum.Als Ort der Begegnung und Vernetzung. Als Raum für selbstverwaltete und unkommerzielle Kultur und Politik. Als Plattform um sich im Viertel selbstverwaltet zu organisieren. Als Gegenpol zur Traurigkeit des kapitalistischen Alltags. Als Mahnung und Störfaktor für alle, die sich die Stadt in Glasfasaden, mit erhöhter Polizeipräsenz, Überwachung und Verdrängung der bisherigen Bewohner_innen erträumen. Als Wohnprojekt mit Geflüchteten, wo das Leben solidarisch, miteinander und gleichberechtigt organisiert wird. Als Ort in dem wir eine gemeinsame Basis aufbauen können um den gerade stattfindenden reaktionären Rollback von Rassist_innen, Antifeminist_innen und Nationalist_innen in Kaltland6 aufzuhalten.
Es gibt tausende Gründe für ein soziales Zentrum. Für das Edeka Center gibt es keine gültigen Argumente mehr. Über 500 Vetos aus dem Viertel, der breite Protest, die schon bestehenden Einkaufsmöglichkeiten, die unnötigen Kosten und der fehlende Rückhalt in der Bevölkerung sprechen Bände und machen klar: Keiner braucht hier das Center, also verpisst euch aus dem Viertel.
Wir sind noch entschlossener ein soziales Zentrum zu eröffnen und dabei weiter an Besetzungen als notwendige, funktionale und legitime Aktionsform festzuhalten. Die Repression hat bisher ihren Zweck der Einschüchterung verfehlt und nur dafür gesorgt, dass sich mehr Menschen unserer Bewegung angeschlossen haben. Mit jedem Menschen der hinzukommt ergibt sich wieder ein Meer an Möglichkeiten. Wir lassen uns nicht unterkriegen und werden von uns hören lassen. In diesem Sinne.
Squat on – holen wir uns die Stadt zurück!
6Kaltland – Hashtag der in sozialen Netzwerken benutzt wird um z.b. die rassistischen Zustände odere andere Ungerechtigkeiten in Deutschland darzustellen.