Am Rosenmontag, 08.02.2016, gegen 13:30 Uhr wurde die alte Post am Hansaring von einer Hundertschaft der Bundespolizei gewaltsam geräumt. Die alte Post am Hafen stand seit Mai 2014 leer und wurde seit der Besetzung am Samstagmittag wieder kontinuierlich mit Leben gefüllt. Das Gebäude ist seit mehreren Jahren im Rahmen des Haie am Hafen Protestes Schauplatz politischer Auseinandersetzungen zwischen den Bewohnerinnen und Bewohnern des Hafenviertels, der Kommunalverwaltung und den Investoren Stroetmann gewesen.
„Wir sind im Protest gegen das E-Center alle demokratischen Wege gegangen, haben hunderte Unterschriften gesammelt und am Ende war auch das nicht genug. Ich frage mich, wessen Interessen die Lokalpolitik da eigentlich vertritt.“ So Hannelore K., Bewohnerin des Hafenviertels am Rande der spontanen Versammlung, die sich aufgrund der Räumung bildete. Obwohl der Rosenmontagsumzug abgesagt wurde, war aufgrund einer weiträumigen Absperrung der Hansaring für mehrere Stunden nicht befahrbar. Vor dem Gebäude versammelten sich anlässlich der geplanten Party eines Soundsystems viele verschiedene Menschen, die zum alternativen Karneval unterwegs waren. Diese organisierten sich die Party kurzerhand selbst, ersetzten das Soundsystem durch eine improvisierte Konstruktion aus Generator und Lautsprecher und zeigten auf diese Weise ihre Solidarität mit den Menschen, die zum selben Zeitpunkt von der Hundertschaft geräumt wurden.
Innerhalb des Gebäudes befanden sich ca. 30 Menschen, als sich die Polizei über einen Polizisten in Zivil Zutritt verschaffte. Nach Aussage einer Person, die sich zum Zeitpunkt der Räumung im Gebäude aufhielt, wurde das Tor der alten Post mit Axt und Vorschlaghammer gewaltsam aufgebrochen – ohne Rücksicht auf Personen, die sich in unmittelbarer Nähe des Einganges aufhielten und durch dieses Vorgehen hätten schwer verletzt werden können. Nicht nur das Eindringen in das Gebäude verlief sehr gewaltsam, sondern auch der Abtransport der sich im Gebäude befindenden Personen, darunter die Organisatoren des alternativen Karnevals, fand unter Einsatz von Gewalt gegenüber den friedlich demonstrierenden Menschen statt. Vor dem Gebäude hatten einige Unterstützer eine provisorische Barrikade errichtet, um dem Gewaltaufgebot symbolisch zu widerstehen. Die Situation eskalierte als die Polizei diese Barrikade stürmte: Teile der Barrikade wurden ohne Rücksicht auf nebenstehende Personen auf die Gehwege geschmissen, einzelne Menschen mit Schmerzgriffen, Schlägen, Tritten und Stößen außer Gefecht gesetzt. Mehrere Aktivisten wurden dabei verletzt; nicht außer Acht zu lassen ist jedoch auch die psychologische Auswirkung einer solchen unverhältnismäßigen Gewaltanwendung auf friedliche Demonstranten. Wie in anderen Berichten bereits erwähnt, flog hierbei auch eine Flasche – diese Handlung lässt sich anhand des Kontextes nachvollziehen. Einen guten Überblick über die Situation verschafft ein Video, das von Anwohnern aufgenommen wurde und derzeit in sozialen Netzwerken massiv geteilt wird (https://www.youtube.com/watch?v=z-oFoBpCAyU). Dieses Verhältnis von extremer Gewaltdemonstration seitens der Polizei und kreativem und friedlichen Protest seitens der Unterstützer setzte sich auch in der darauf folgenden spontanen Demonstration fort. Etwa 150 zu Reggae tanzende Menschen wurden von zwei Hundertschaften auf ihrem Weg zur Polizeiwache zunächst in einem Kessel aufgehalten und dann auf dem weiteren Weg eskortiert. Spontane Demonstrationen sind ein Recht, von welchem man in gegebenen Anlässen ohne vorherige Anmeldung Gebrauch machen kann – dies wurde durch die Forderung der Polizei nach einer offiziellen Anmeldung jedoch unterbunden. Trotz dieser zum Teil provokativen Repressionen verlief die komplette Demonstration friedlich und viele Passanten schlossen sich dem Zug an. An der Polizeistation angekommen, wurden die gefangen genommenen Personen vom Demonstrationszug mit Essen, Trinken, Musik und aufmunternden Worten wieder in Empfang genommen.
Die Gründe der Besetzung der alten Post sind vielschichtig: „Wir wollen mit dieser Aktion ein klares Zeichen gegen das Vorgehen der Stadt gegenüber den Bewohnerinnen und Bewohnern des Hafenviertels setzen, wo trotz mehr als 500 eingereichten Beschwerden, die von der Lokalpolitik einfach ignoriert wurden, ein neues E-Center auf dem Gelände der alten Post gebaut werden soll. Anstatt einer weiteren Einkaufsmöglichkeit, von welcher Art es in Münster schon mehr als genug gibt, könnte auf den 4900m² viel besser ein soziales Zentrum entstehen, welches auf der einen Seite Platz für bezahlbaren Wohnraum schaffen kann und auf der anderen Seite einen Ort für Kunst- und Kulturprojekte, wie etwa Proberäume, Ateliers, Werkstätten und vieles mehr bieten soll. Ein solcher Freiraum fehlt vielen Menschen hier schon seit langem, wie auch die Besetzung des leerstehenden Zollamts im Oktober 2015 zeigte.“ erklärt Timo L., einer der Besetzer. Über die weiteren Forderungen der Aktivisten kann man sich auf dem Blog https://squatms.blackblogs.org/ informieren.
Die Auseinandersetzungen rund um das geplante E-Center sind nur ein kleiner Teil des Kampfes gegen die Kommerzialisierung des Hafengebiets. Der politische Protest rund um die alte Post ist nach der Entscheidung der Stadt, das Gelände und Gebäude den Investoren Stroetmann zu verkaufen, weitestgehend abgeebbt. Doch die Forderungen nach Freiräumen haben den Hafen noch nicht verlassen und werden derzeit an der sogenannten B-Side, das heißt an der noch nicht kommerzialisierten Seite des Hafens, ausgefochten. So soll in den kommenden Wochen im Stadtrat darüber entschieden werden, ob die B-Side weiterbesteht und so zumindest am einen Ufer noch Raum für Kreativität und Kultur erhalten bleibt. Wer sich von selbstverwalteten Freiräumen einen eigenen Eindruck verschaffen möchte, kann von Freitag bis Sonntag das Festival „Let it B-Side“ besuchen.